Das Einhorn im Physiologus
Und
wird erhöhet werden, sagt der Psalmist, mein Horn wie das des Einhorns.
Der Physiologus sprach vom Einhorn, daß es eine solche Eigenart habe:
Ist ein kleines Tier, ähnelt einem Zicklein, hat aber einen gar scharfen
Mut. Nicht vermag der Jäger ihm zu nahen darum daß es große
Kraft hat.
Ein einzig Horn hat es, mitten auf dem Haupte. Wie aber wird es gefangen? Man
legt ihm eine reine Jungfrau, schön ausstaffiert in den Weg. Und da springt
das Tier in den Schoß der Jungfrau, und sie hat Macht über es, und
es folget ihr, und sie bringt es ins Schloß zum König.
Dies wird nun übertragen auf das Bildnis unseres Heilands. Denn es wurde
auferweckt aus dem Hause Davids das Horn unseres Vaters, und wurde uns zum Horn
des Heils. Nicht vermochten die Engelsgewalten ihn zu bewältigen, sondern
er ging ein in den Leib der wahrhaftig und immerdar jungfräulichen Maria,
und das Wort ward Fleisch, und wohnete unter uns.
Ist
ein einhörniges Tier, und so wird's auch geheißten. Aber in jenen
Gegenden ist ein großer See, und da sammeln sich die wilden Tiere um zu
trinken.
Ehe jedoch die Tiere versammelt sind, kriecht die Schlange heran und speit ihr
Gift in das Wasser. Die Tiere nun spüren das Gift und wagen nicht zu trinken;
und da warten sie auf das Einhorn, und das kommt, und stracks geht es in das
Wasser und schlägt mit dem Horn ein Kreuz, und damit macht es die Kraft
des Giftes zunichte, und da es von dem Wasser trinkt, trinken auch all jene
anderen Tiere.
Es gibt ein Tier, das sogenannte monokeros. In jener Gegend ist ein großer
See, und es kommen die Tiere zusammen, um zu trinken. Noch ehe sich die Tiere
versammelt haben, kommt die Schlange und wirft ihren Saft in das Wasser. Wenn
die Tiere nun das Gift bemerken, wagen sie nicht zu trinken, sondern warten
auf das monokeros. Es kommt und steigt sogleich in den See, schlägt mit
seinem Horn ein Kreuz und läßt so die Kraft des Giftes schwinden;
und da es von dem Wasser trinkt, trinken auch alle jene Tiere.
Seine zweite Natur: Diese Tier, ich meine das monokeros, liebt sehr die Freude.
Was tun nun die, die es jagen? Sie nehmen Trommeln, Trompeten, Saiteninstrumente
und was den Menschen (sonst noch) einfällt, ziehen an den Ort, wo das tier
ist, und führen einen Tanz auf, wobei sie auf den Trompeten und was sie
sonst noch haben, spielen und laut beim Tanzen schreien. Eine einzelne Frau
setzen sie anderso an einen Baum, nahe bei ihm. Sie schmücken sie und geben
ihr einen Strick, der an dem Baum festgebunden ist. Wenn das monokeros den Lärm
der Menschen und Trompeten hört, kommt es nahe an den Platz heran und schaut
und hört, was sie treiben, und wagt nicht, sich ihnen zu nähern. Wenn
es aber die Frau allein (dort) ruhen sieht, kommt es heran, springt auf sie
zu und reibt sich an ihren Knien, und während die Frau es besänftigt,
schläft es ein. Dann fesselt sie es mit dem Strick und bringt es weg und
überführt es. Das monokeros aber wacht auf und kann nicht mehr gehen,
weil es mit dem Strick überwältigt ist. Viel geschunden, stößt
es das Horn ab und läuft davon; und da nehmen die Jäger das Horn an
sich. Es ist nämlich als Heilmittel gegen die Schlange nützllich.